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Archivalien

 

 

Quelle:  Privat

 

Gasthaus Landrichter in Kleinneußlitz bei Oschatz      Gemälde von 1862      

Geographische Lage

 

Das gegen Ende des 18. Jahrhunderts, also in der Endzeit der Hohen Straße/VIA REGIA erbaute Landrichtergut liegt an der Straße von Leipzig nach Oschatz, der heutigen B6, an der Einmündung der Straße von Dahlen. Zur Zeit der Entstehung des Bildes war die alte Heer- und Handelsstraße von Leipzig nach Dresden weiterhin eine der bedeutendsten sächsischen Verkehrsadern und als eine der ersten Fernstraßen chauseemäßig ausgebaut worden.

Die Schranke rechts im Bild diente der Erhebung der Chausseegebühren. Das dazugehörige Chausseehaus lag auf der anderen Straßenseite.

Das Bild illustriert trotz seines leicht zeitlichen Versatzes sehr schön die Situation eines Gasthofes an der Fernhandelsstraße.

Die Geschichte des Landrichtergutes erhellt die nachstehende Darstellung von Grit Jähn.

 

 

Carl Friedrich Wilhelm Heinrich 1779 - 19. 02. 1842

Der Landrichter an der ehemaligen Richtstätte in Kleinneußlitz

Erstveröffentlicht:   Grit Jähn, 12-2022, Facebook/Oschatzer

Am Morgen des 10. Mai 1821 um 1 Uhr weckte ihn der Schreckensruf: FEUER aus dem Schlaf. Nur an die Rettung des Lebens konnten sie denken, als ihre Habe und sämtliche Wohngebäude der Heinrichs verbrannten. Hilfe eilte aus Merkwitz herbei und die einzigen Nachbarn gegenüber, die Familie des Chausseegeldeinnehmers Friedrich Gottlieb Bindernagel, nahm die Familie auf.  Auch das Vieh wurde gerettet. Am nächsten Morgen versorgten die Merkwitzer die Kleinsten mit Wäsche, die dann bei Verwandten zunächst in Aufsicht und Fürsorge kamen. „Reichliche Wohltaten edler Menschenfreunde“ milderten die sehr unglückliche Lage der Abgebrannten. Für eine Frau, die in den Diensten des Gastwirts stand, sowie für die Auszüglerin Teichgräber, wurde in den Gemeinnützigen Blättern um Spenden geworben, da sie Alles verloren hatten. 

Heinrichs waren Flurrichter und Gastwirte in Lonnewitz, wie einst der Vater Johann Gottlob und später auch der ältere Bruder Johann Gottfried und nach dessen Tod der mittlere Bruder Johann Gottlob. Diese standen im Pachtvertrag des Postgutes in Lonnewitz, die Schwester des Bruders und spätere Oehmigin war eine Tochter des Oschatzer Gastwirts Lochmann im Weißen Ross und besaß in Lonnewitz das Landrichtergut. 

Das Gut in der Kleinneußlitzer Flur hatte der Merkwitzer Halbhüfner Johann Gottlieb Teichgräber 1797 beim Amtmann beantragt, dort erbauen zu dürfen. Der Neubau auf freiem Feld sollte zur Wiederherstellung des seit dem Hussitenkrieg wüst gefallenen Dorfes Neußlitz dienen. Dass dort an diesem Fleck eine Gerichtsstätte war und zuletzt 1754 eine Enthauptung des Händlers Kretzschmar aus Lonnewitz stattfand, der einen reitenden Boten überfallen und wegen versuchten Mordes dieser Strafe zugeführt wurde, wussten die ca. 40 Merkwitzer Bauern seinerzeit noch an den abendlichen Feuern zu erzählen. Der Oschatzer Diakon Carl Samuel Hoffmann war 1795 in seine Vaterstadt zurückgekehrt und schrieb diesen Fakt später auch in die 1813 erschienene Chronik. Mit neun Kindern und dem Einbringen der elterlichen Habe wagte Teichgräber die Investition und erbat auch die Genehmigung für eine Branntweinbrennerei. Im Juli 1800 verkaufte er sein seit 1777 besessenes Halbhufengut in Merkwitz mit der darauf gebauten Windmühle an den gleichnamigen ältesten Sohn und widmete sich dem neuen Vorhaben in Kleinneußlitz. Acht Jahre später sah sich Teichgräber bereits gezwungen, das neue Wohnhaus und die Scheune nebst Zug- und Zuchtviehställen an den Schwiegersohn Johann Gottfried Kummer mit der Bedingung des „Auszugs auf Lebenszeit“, zu verkaufen. Auf dem Grundstück gegenüber wurde gerade das königliche Chausseehaus errichtet. Die Zeiten waren übel, die Durchmärsche der Truppen zu den Schlachten brachten insbesondere für die Wirte mit ihren Vorräten viel Unbill. Der Schwiegersohn geriet in Geldschwierigkeiten und verkaufte im April 1811 an den 24 jährigen Merkwitzer Johann Gottlob Krauspe, der das Gut auch nur sechs Jahre halten konnte. 

Der Amts-Landrichter Carl Friedrich Wilhelm Heinrich zu Lonnewitz, der 1813 noch für die blessierten sächsischen Soldaten über einen Taler spendete,  erwarb das Grundstück mit vier Kühen, drei Kälbern und zwei Schweinen, Pflug, Haken und Mistgabel  für 2.650 Taler im März 1817 von diesem und musste kein halbes Jahr später die Mutter seiner fünf unmündigen Kinder begraben. Die neue Ehefrau, Johanne Juliane Heinrich geb. Klauß, teilte drei Jahre später das Schicksal des abgebrannten 42jährigen Gatten mit dessen Kindern, sowie zwei weiteren Kleinkindern aus dieser zweiten Ehe.  Der Brand löschte auch die Hoffnungen auf die bevorstehende Gartenkonzert-Saison. Sämtliche Gasthalter der Gegend buhlten um die Gunst der in Oschatz garnisonierenden Schützen vom 1. Königlich Sächsischen Schützenbataillon. In Kleinneußlitz hatten seit 1819  um die Pfingstfeiertage bis in den September hinein Scheibenschießen und Vogelschießen mit Konzerten stattgefunden. Der Zuspruch war überwältigend. Fußläufig kamen die Gäste aus Oschatz, Großböhla, Merkwitz, Luppa und Calbitz zum Vergnügen. 

Bei allem Erfolg gedachte der Landrichter des Oschatzer Maurergesellen Johann Michael Teichgräber, der seit sieben Jahren erblindet und als Vater mehrerer Kinder die Familie nicht mehr zu ernähren in der Lage war. Im Wochenblatt rief er 1819 zu Spenden zugunsten seines ehemaligen Schulfreundes auf und dankte später den Spendern in diesem Blatt. Zum Aufbau der Wohn und Wirtschaftsgebäude hätte Heinrich diesen Freund sicher gebraucht. Als der sächsische König am 15.06.1822 dem Landrichter die Konzession erteilte, Branntwein und das Oschatzer Bier auszuschenken, veranstaltete der Gasthalter eine Woche später wieder ein Sternschießen mit Sonntagskonzert. Zu dieser Zeit hatte der blinde Maurergeselle Teichgräber in Oschatz bereits seine Angelegenheiten geregelt, nach dem Tod der Ehefrau für die drei minderjährigen Söhne die Obhut beim Schwager organisiert, das Haus an diesen verkauft und starb im August 1822. 

Für den Gastwirt Heinrich in Kleinneußlitz entwickelte sich scheinbar alles prächtig. Ab September 1822 durfte er für sechs Taler Erbpachtzins jährlich an das Größere geistige Arear auch den Platz, mit Inbegriff des dazu gehörigen Kirchhofes benutzen, auf welchem vormals das Hospital „Zum fernen Siechen“ stand. Nur bei sehr schlechter Witterung fielen die Konzerte aus, die immer zahlreicher wurden und im Garten und unterm Zelt stattfanden. Die Schießlustigen amüsierten sich zu Ostern, Pfingsten, am Himmelfahrtstag, am Johannistag und Michaelistag zu Sternschießen, Scheibenschießen oder wildem Sauschießen auf die laufenden Scheibe. Immer wieder gab es Tanzmusik dazu, teilweise arrangiert vom Stadtmusikus Zöllner und mit dem „Gesellschaftlichen Verein“.  Auch an den Weihnachtsfeiertagen wurde aufgespielt. Der Fuhrmann Buchmann annoncierte 1823, die „Gesellschaften mit seinem Geschirr“ zu fahren. 

Der Kleinste der Heinrichs (3) und der Jüngste der Bindernagels (2) wurden im Mai 1824 vom Stadtphysikus Türck gegen die Blattern geimpft und nach der Verordnung des königlichen Sanitäts-Collegii in Tabellen aufgezeichnet. Sie bekamen das Vaccin aus der Lymphe vom 8 Tage zuvor geimpften Carl Oldecop, der es wiederum von Gustav Gadegast bekam, der im April 1825 zweijährig verstarb. Von den anderen Kindern fanden sich keine späteren Aufzeichnungen. Im Sommer 1824 starb der 57jährige Nachbar, so dass die betrübte Witwe Bindernagel vom Chausseehaus mit den Kindern nach Oschatz zog und ein neuer Einnehmer bestallt wurde.  

Zum Lorenzkirchener Markt war Heinrich mit einer Schankwirtschaft etabliert und auch beim Mügelner Stoppelmarkt 1827 teilte er sich den Weinschank mit dem Lonnewitzer Schwager Oehmigen und bot dort auch Karpfen und Wildbret an. Bei der Reise Seiner Majestät des Königs Anton zur Huldigung nach Leipzig errichteten die Gemeinde Merkwitz, der neue Chausseegeldeinnehmer Grübler und der Landrichter Heinrich eine Ehrenpforte mit Eichenlaub und Blumen geschmückt. Auch der Schlagbaum im Chausseehaus gegenüber beim neuen Einnehmer Grüber war mit Blumen geschmückt

Mitte Februar 1840 berichtete die Sächsische Dorfzeitung, dass dem Hufengutsbesitzer Heinrich ein Stallgebäude total niedergebrannt sei. „Jedenfalls hat eine böswillige Anlegung stattgefunden“.  Zwei Jahre darauf, am 19. 02. 1842 starb der beliebte und geschäftstüchtige Landrichter Heinrich im 63. Lebensjahr und hinterließ drei der Kinder aus erster Ehe, sowie zwei unmündigen Kinder aus der 2. Ehe und die Witwe. Der jüngste Sohn, der „Oeconom“ Karl Eduard übernahm das Gut nebst Vieh, Schiff und Geschirr und die zum Nachlass gehörige Weinbude in Lorenzkirchen.  Acht Jahre später versteigerten dessen Erben die Immobilien des im Dezember 1850 verstorbenen Nachfolgers und bereits im August 1853 verstarb der neue Besitzer Friedrich Traugott Roßberg aus Merkwitz im 40. Lebensjahr. Dessen Witwe bewirtschaftete das Gut eine zeitlang selbst und verkaufte es dann an den neuen Ehemann Johann Gottfried Zaspel, der die Roßbergsche Konzession 1855 erhielt. Im Februar 1863 bekam Heinrich Julius Naumann die Schankerlaubnis in Kleinneußlitz, der das obenstehende Bild in Auftrag gab. 

 

 

Karte hergestellt aus OpenStreetMap-Daten | Lizenz: Open Database License (ODbL)

 

Gasthaus Landrichter (Ansichtskarte, ca. 1930)

Gasthaus Landrichter heute (2020)

 

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